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Whitepaper

"Alternative Gase" und Gasmischungen

Dieser Guide soll in mehreren Teilen speziell auf die Anwender und Benutzer von gasisolierten Betriebsmitteln mit Schwefelhexafl uorid und deren Probleme und Unsicherheiten beim Umstieg zu neuen, alternativen Gasmischungen eingehen sowie den Umgang und den aktuellen, technischen Stand der Umsetzung des Gashandlings mit „Alternativen Gasen“ näher erläutern. In mehreren Teilen wird ein aktueller Gesamtüberblick über alternative Gasgemische und Gründe für den Umstieg gegeben. Es wird speziell auf das Mischen und die Verfügbarkeit der Gasgemische, das Handling, das Messen und die Aufbereitung mitsamt regulatorischer Vorschriften eingegangen sowie Einblicke gegeben, inwieweit der Lebenszyklus der Alternativen Gase vergleichbar zu dem von SF6 ist und wie weit dieser heutzutage schon abgedeckt ist.

1. Übersicht „Alternative Gase“ und Gasmischungen zu Schwefelhexafluorid SF6

Trotz aller Bemühungen, Reglementierungen und Verboten im Bereich des Gases Schwefelhexafl uorid (SF6) (Verbot unter anderem in Autoreifen, Fensterscheiben

und Turnschuhen; Zertifi zierungspfl icht für den Umgang mit SF6 in Schaltanlagen) ist der Anteil von SF6 in der Atmosphäre kontinuierlich auf über 10·10−12 mol·mol-1

weltweit angestiegen (Abbildung 1). Obwohl die Menge an SF6 im Vergleich zum gesamten Kohlensto¤ dioxid (CO2) in der Atmosphäre (~400·10−6 mol·mol-1) gering erscheint, weist SF6 aufgrund seiner Langlebigkeit (3200 Jahre) ein hohes Treibhauspotential (global warming potential; GWP) von 22800 über 100 Jahre im Vergleich zu CO2 auf. Das bedeutet, dass jedes freigesetzte Kilogramm SF6 über einen Zeitraum von 100 Jahren genauso schädlich für die Umwelt ist wie die Freisetzung von 22,8 Tonnen CO2. In Deutschland beträgt der Anteil an SF6-Emissionen in CO2-Äquivalenten momentan ungefähr 0,5 % an den Gesamtemissionen.

Aufgrund seiner hervorragenden Isolier- und Schalteigenschaften wird, trotz einer Reduzierung der Abgabemenge von SF6 seit dem Jahr 2016, ein Großteil des heutzutage hergestellten SF6 in Deutschland weiterhin in der Elektroindustrie und im Apparatebau verwendet (> 75 %). Obwohl der Anteil an Betriebsemissionen in den letzten Jahren immer weiter abnahm, nahm der globale Anteil an SF6 in der Atmosphäre weiter zu. Die SF6-Technologie als Verwendung in elektrischen Betriebsmittel ist,

hinsichtlich der Emissionsraten, weitestgehend optimiert und eine weitere Reduzierung an dieser Stelle nur durch den Austausch bestehender Anlagen gegen Anlagen der neuesten Generation oder durch alternative Technologien möglich. Beim Austausch der Anlagen sollte der Fokus auf der nachhaltigen Nutzung des SF6 durch Aufbereitung und Wiederverwendung liegen. Da der Großteil an SF6 weiterhin in der Elektroindustrie verwendet wird, ist die Suche nach Alternativen zu SF6 auf diesem Gebiet weit fortgeschritten. Ein Umstieg über alle Spannungsebenen auf alternative Gase oder Techniken wird auf lange Sicht als unumgänglich angesehen.

Der Fokus der Guides wird regional auf den aktuellen technischen Stand der Umsetzung in Europa und Nordamerika gelegt. Im Fokus stehen das Gasgemisch „Synthetische Luft“ („CleanAir“, „DryAir“) sowie Gasmischungen mit den Isoliergasen 2,3,3,3-Tetrafluoro-2-(trifluoromethyl)propannitril, kommerziell erhältlich unter den Namen 3M™ Novec™ 4710 (im weiteren Text als „C4“ bezeichnet) und 1,1,1,3,4,4,4-Heptafluoro-3-(trifluoromethyl)butan-2-on, erhältlich unter dem Namen 3M™ Novec™ 5110 („C5“, Abbildung 2). Alle alternativen Gase und Gasmischungen werden im weiteren Verlauf als „Alternative Gase“ bezeichnet.

Im Gegensatz zum Gashandling mit SF6, bei der das SF6 meistens als einzelne Komponente und nur in seltenen Fällen als Gasgemisch (mit N2 oder CF4) vorliegt und

gehandhabt wird, bestehen Alternative Gase aus zwei oder mehreren Einzelgaskomponenten, die zusammen das Isoliergasgemisch ergeben. Der theoretische Hintergrund und die chemischen und physikalischen Eigenschaften im Hinblick auf Isolier- und Löscheigenschaften der möglichen alternativen Gase und Gasgemische

zu SF6 sind bereits ausführlich in der bekannten Literatur diskutiert.5–8 Ebenfalls gibt es schon explizite Empfehlungen der CIGRE-Arbeitsgruppen zur Anwendung

von SF6-freien Gasen oder Gasmischungen in Mittel und Hochspannungschaltanlagen.

Für die verschiedenen Anwendungen in der Hochspannungstechnik werden dabei verschiedene Gase oder Mischungen mit unterschiedlichen Verhältnissen der

einzelnen Komponenten eingesetzt:

Novec™ ist der registrierte Markenname für Spezialchemikalien und Gase der Firma 3M™. Die Synthese der Chemikalien C5 (Chemische Bezeichnung: 1,1,1,3,4,4,4-Heptafluoro-3-(trifluoromethyl)butan-2-on) und C4 (2,3,3,3-Tetrafluoro-2-(trifluoromethyl)propannitril) ist allerdings bereits seit den 1960ern bzw. 1970ern bekannt.10,11 Trotzdem ist für beide Gase momentan in Europa nur 3M™ als zugelassener Verkäufer in der europäischen Chemikaliendatenbank registriert.12 C4 und C5 werden, im Gegensatz zu SF6, aufgrund ihrer höheren Siedepunkte bei atmosphärischen Druck (Tabelle 1), in Mischungen mit zusätzlichen Trägergasen wie Kohlensto¤dioxid (CO2) oder Sticksto¤ (N2) verwendet. Trägergas bezeichnet in diesen Fällen die prozentual überwiegend vorhandene Komponente in der Mischung. Als weiterer Bestandteil wird häufig Sauersto¤ (O2) verwendet um die Bildung von Ruß bei Überschlägen bzw. Schaltvorgängen in Schaltanlagen zu reduzieren. Die Konzentrationen der

einzelnen Komponenten, mit Ausnahme des Trägergases, liegen grundsätzlich im Bereich von 0 – 15 %.

g3 umfasst die Lösung der Firma General Electric und inkludiert Mischungen mit C4. AirPlus ist das Äquivalent der Firma ABB und umfasst Mischungen mit C5 als Isoliergas. Abhängig von der geforderten Anwendung werden in beiden Fällen unterschiedliche Mischungsverhältnisse verwendet. Synthetische Luft (Syn. Luft) ist eine Mischung aus ca. 20 % Sauerstoff (Chemische Formel: O2) und 80 % Stickstoff(N2) und wird überwiegend in Schaltanlagen in Kombination mit der Vakuumschalttechnik bis 145 kV von beispielsweise Siemens verwendet.13 Syn. Luft kann erst bei Temperaturen unter −183 °C verflüssigt werden und wird auch bei Raumtemperatur im homogenen Zustand unter hohem Druck (> 200 bar) gespeichert (Tabelle 1). Aufgrund der teilweise toxischen Eigenschaften stehen weitere, als Alternativen gehandelte Gase wie Trifluoroiodomethan (CF3I)14 oder Hydrofluoroolefin (C3H2F4) aktuell nicht mehr im breiten Fokus der Industrie. Ihre Handhabung ist allerdings ähnlich den Mischungen auf C4/C5 oder Synthetischer Luft- basierend.

Obwohl heute noch kein Verbot für die Verwendung von SF6 in bestehenden oder neuen gasgefüllten Betriebsmitteln der Energieübertragung besteht, haben sich einige

konkrete Alternativen herauskristallisiert. In Projekten wurden verschiedene Ansätze in der Praxis bereits umgesetzt allerdings sind noch nicht Lösungen für die Umsetzung für alle Anwendungsbereiche vorhanden. Der nächste Beitrag des Guides wird sich schwerpunktmäßig auf die Eigenschaften und die verschiedenen Arten

zur Herstellung der Mischungen von Alternativen Gasen beziehen.

Infos

  • Frundsbergstraße 36, 87727 Babenhausen, Germany
  • Boanerges Meza