#Neues aus der Industrie
Fachkräftemangel als Chance!
In der Industrie bedroht der Fachkräftemangel die Zukunft vieler produzierender Unternehmen. Manufacturing-Execution-Systeme (MES) zeigen Auswege auf, wie der Fachkräftemangel mithilfe der Digitalisierung aufgefangen und die Produktivität gesteigert
Die schwächelnde Konjunktur hat wahrlich nicht viele Vorteile. Sie sorgt jedoch dafür, dass der Bedarf an Fachkräften rückläufig ist, wie dem aktuellen KfW-ifo-Fachkräftebarometer zu entnehmen ist. Das ist allerdings nur ein sehr schwacher Trost, denn die KfW-ifo-Zahlen zeigen auch, dass der Fachkräftemangel weiterhin auf hohem Niveau verharrt.
35 Prozent der rund 9.000 befragten Unternehmen, davon etwa 7.500 aus dem Mittelstand, geben fürs 2. Quartal 2024 an, in ihrer Geschäftstätigkeit durch fehlendes Fachpersonal behindert zu sein. Mit 25 Prozent liegt das verarbeitende Gewerbe zwar unter dem Durchschnittswert, aber damit sind immer noch fast dreimal so viele Industrieunternehmen betroffen wie im langfristigen Mittel. Wo fehlen in der Industrie also die Fachkräfte?
Mangel in technischen Berufen
In produzierenden Unternehmen fehlt es laut der Studie „Fachkräftemangel in der Industrie“, erstellt von der Heinrich Heine Universität Düsseldorf und der Allianz „Zukunft durch Industrie“, vor allem an Fachkräften in der Produktion und in technischen Berufen. Für die Studie wurden rund 40 Industrieunternehmen, 130 Management-Studierende und 40 Young Professionals aus Nordrhein-Westfalen befragt. Von den Industrieunternehmen bekundete fast ein Drittel Bedarfe im Bereich Produktion/technische Berufe, die derzeit nicht bedient werden können. Knapp jedem fünften Unternehmen mangelt es zudem an Fachkräften im Management und in der Verwaltung. Das gilt insbesondere für kleinere Industrieunternehmen.
Die Studie unterscheidet zwischen Unternehmen mit mehr und weniger als 20 Millionen Euro Jahresumsatz. Sowohl für die großen als auch für die kleinen Unternehmen sind Kostendruck und Inflation die oberste Herausforderung. Doch noch vor den Aufgaben, die ist in den Bereichen Digitalisierung oder Nachhaltigkeit zu lösen gilt, folgt der Fachkräftemangel als zweitgrößte Herausforderung. Bei den umsatzstärkeren Unternehmen steht der Fachkräftemangel zwar auf dem dritten Rang, aber in der Gruppe der Industrieunternehmen mit weniger als 20 Millionen Euro Jahresumsatz rangiert der Fachkräftemangel weit vor den anderen Herausforderungen.
Die Prognosen zum Fachkräftemangel deuten nicht auf eine Wende hin: Die Überalterung der Bevölkerung, das „Mismatch“ zwischen schulischen Bildungsinhalten und den Fertigkeiten und Kenntnissen, die produzierende Unternehmen heute benötigen sowie eine unter populistischen Druck geratene Migrationspolitik werden nach der vorherrschenden Meinung vieler Arbeitsmarktexperten den Fachkräftemangel in den kommenden Jahren verschärfen.
Entlastung von Routineaufgaben
Die fertigenden Unternehmen, die sich auf den Weg in die Industrie 4.0 machen, reagieren auf den Fachkräftemangel mit erhöhten Investitionen in neue Technologien und einer Anpassung ihrer Produktionsprozesse. Der Grad der Automatisierung und Digitalisierung nimmt zu, Mitarbeitern werden zeitaufwendige Routineaufgaben abgenommen. Manufacturing Execution Systeme spielen dabei als sogenannte Datendrehkreuze eine zentrale Rolle. Das MES sammelt Maschinen- und Betriebsdaten, verdichtet diese zu einer homogene Datenmenge und visualisiert sie in Form von Key-Perfomance-Indikatoren (KPI) für eine effiziente digitale Produktionsplanung. Diese Daten werden nicht nur in der Produktion genutzt, sondern auch im ERP bis hin zur Managementebene im Unternehmen (horizontale und vertikalen Datenintegration).
Das MES präsentiert dem Fertigungsleitstand zum Beispiel Informationen darüber, wie lang ein Arbeitsvorgang dauert, inwiefern er Toleranzwerte einhält bzw. überschreitet oder wie oft er wiederholt werden muss. Viele repetitive oder manuelle Aufgaben können mithilfe eines MES digitalisiert werden. Mitarbeiter werden durch diese Digitalisierung entlastet und können sich ihren Kernaufgaben widmen. Qualifiziertes Personal wird weniger für einfache Tätigkeiten eingesetzt.
Unabhängigkeit durch Wissenstransfer
Die Entlastung durch digitalisierte Arbeitsprozesse erlangt bereits seit geraumer Zeit eine zunehmende Bedeutung. Um den individuellen Kundenwünschen nachzukommen, produzieren Unternehmen in immer kleineren Losgrößen. Dadurch müssen Maschinen häufiger umgerüstet werden. Die Fertigungsplanung wird komplexer – ebenso wie die Anforderungen an die Mitarbeiter. Sie werden entlastet, indem ihre Erfahrung und ihr Know-how in das MES übergehen. Der Mitarbeiter muss nicht länger die unterschiedlichen Eigenschaften verschiedener Maschinen kennen. Das übernimmt das MES.
Neben der Arbeitsentlastung profitiert das Industrieunternehmen von diesem Wissenstransfer, indem das Know-how auch dann im Unternehmen bleibt, wenn erfahrene Mitarbeiter ausscheiden. Das MES ist der Einstieg in ein profundes Wissensmanagement, mit dem Industrieunternehmen natürlich auch die Abhängigkeit von Arbeitskräften reduzieren. Schließlich steht am Ende der Industrie 4.0 das autonome Bauteil, dass sich selbst den optimalen Weg über den vollständig automatisierten Shopfloor sucht. Die Steigerung der Produktionseffizienz zieht unweigerlich einen reduzierten Bedarf an menschlichen Arbeitskräften nach sich.
Prozessüberwachung und Qualitätsmanagement
Die Digitalisierung mittels MES-Lösungen ermöglicht eine kontinuierliche Überwachung und Anpassung der Produktionsprozesse in Echtzeit, indem das eingesetzte MES Optimierungspotenziale identifiziert. Einmal ungesetzt erhöhen diese die Effizienz der Fertigungsabläufe. Die Folge: Das Industrieunternehmen kann mit weniger Personal eine größere Produktionsmenge bewältigen.
Prozessüberwachung in Echtzeit und ein Qualitätsmanagement versetzen die Mitarbeiter in die Lage, umgehend auf Abweichungen in Fertigungsabläufen oder auf Materialengpässe reagieren zu können. Auf diese Weise werden zum einen Ausschüsse und Stillstandzeiten minimiert. Zum anderen kann die Produktionsleitung effizienter arbeiten, weil weniger Umplanungen notwendig sind, selbst wenn nur wenige erfahrene Fachkräfte zur Verfügung stehen.
Gerade wenn sich das Know-how und die Verantwortung auf wenige Schultern verteilen, ist es wichtig, diese erfahrenen Fachkräfte zu entlasten. Das Qualitätsmanagement eines MES reduziert die Fehlerquote der Mitarbeiter, nimmt ihnen damit den Druck und reduziert ihren Stress. Eine in ein MES integrierte Personalzeiterfassung führt zu einer effizienteren Nutzung verfügbarer Arbeitskräfte, um Überlastungen, Stress und die dazugehörigen Folgen – Stichwort Krankenstand – zu vermeiden. Letztendlich kann das Industrieunternehmen auch flexible Arbeitszeitmodelle anbieten und so seine Attraktivität für Fachkräfte erhöhen.
Durch die Analyse historischer Daten können MES-Lösungen zudem Prognosen entwickeln, die zum Beispiel im Rahmen der Instandhaltung und Wartung eingesetzt werden (Predictive Maintenance). Kurz gesagt: Eine Maschine wird rechtzeitig gewartet, bevor sie für längere Zeit ausfällt. Das erhöht die Langlebigkeit und Verfügbarkeit der Maschinen und reduziert den Bedarf an Reparaturen. Folglich wird hierfür weniger Fachpersonal benötigt.
Modulares MES für mehr Flexibilität
Auch wenn wegen der derzeit schwachen Konjunktur der Bedarf an Fachpersonal sinkt, wird diese Entwicklung nicht von Dauer sein. Sobald die Wirtschaft wieder anzieht, steigt auch wieder die Nachfrage nach qualifizierten Arbeitskräften. Der Fachkräftemangel ist gekommen, um zu bleiben. Die Auswirkungen jetzt getroffener politischer Maßnahmen in Bereichen wie Bildung oder Migration werden sicherlich noch Jahre auf sich warten lassen – wenn es denn überhaupt positive Auswirkungen geben wird.
So lang kann kein produzierendes Unternehmen warten, will es sich im harten globalen Wettbewerb behaupten. Also setzen viele Industrieunternehmen auf Digitalisierung und die hier skizzierten Vorteile, die Technologien wie MES-Lösungen mit sich bringen. Besonders gefragt sind dabei modulare Lösungen, die sich flexibel auf die individuellen Bedürfnisse des jeweiligen Unternehmens anpassen. Verändern sich diese Bedürfnisse, verändert sich auch das MES, ohne dass man erneut „from the scratch“ beginnen muss. So wird die horizontale und vertikale Datenintegration im Unternehmen vertieft, die Folgen des Fachkräftemangels abgemildert und die Vision einer Industrie 4.0 im firmeneigenen Digitalisierungstempo sukzessive umgesetzt.